Interview: „Ein Meilenstein für industriellen Klimaschutz in NRW und Deutschland”

21.08.2023

Die Europäische Kommission hat im Juli die beihilferechtliche Genehmigung für die Förderung des Baus einer Direktreduktionsanlage auf dem Werksgelände des Stahlherstellers thyssenkrupp in Duisburg erteilt, was den Weg für die größte Einzelförderung in der Geschichte NRWs ebnet.

Im Interview ordnet Dr. Stefan Herrig, Fachexperte für das Thema Wasserstoff im Bereich Industrie & Produktion bei NRW.Energy4Climate, die Förderentscheidung ein und gibt Einblicke in aktuelle Entwicklungen rund um die Wasserstoffwirtschaft NRWs. 

 

Was bedeutet der Förderbescheid für thyssenkrupp Steel Europe und für die Stahlbranche in NRW? 

 

Dr. Stefan Herrig: Der Förderbescheid ist ein Riesenschritt zu einem zukünftig klimaneutralen Produktionsstandort von thyssenkrupp Steel in Duisburg, und damit ein Meilenstein für industriellen Klimaschutz in NRW und Deutschland. Außerdem schafft er die Grundlage für den langfristigen Erhalt vieler, vieler Arbeitsplätze am Standort Duisburg, aber auch an anderen Standorten entlang der Stahl-Wertschöpfungskette.  

 

 

Welche Bedeutung hat die Fördergenehmigung Ihrer Meinung nach für die Industrie in NRW insgesamt?  

 

Dr. Stefan Herrig: Die Bedeutung kann man kaum hoch genug bewerten. Historisch gesehen ist NRW Deutschlands industrielles Zentrum, weil die Kohle uns zum Energieland gemacht hat. Das hat dazu geführt, dass sich etwa die Hälfte der Produktionsstandorte der deutschen Grundstoffindustrie in NRW befinden. Mit dem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger verliert NRW diesen Standortvorteil. Damit die Industrietransformation in NRW gelingt, müssen wir eine Vorreiterrolle übernehmen: Neue Produktionstechnologien müssen hier in NRW auf großskaligem Industrieniveau in die Umsetzung gebracht werden und die sukzessive steigende Nachfrage nach klimaneutralen Industrieprodukten frühzeitig aus NRW heraus gedeckt werden. Wenn der Förderbescheid für thyssenkrupp Steel nun zur Inbetriebnahme der ersten Direktreduktionsanlage Ende 2026 führt, zeigt das, dass eine klimaneutrale Grundstoffindustrie in NRW möglich ist. Und das ist auch für andere Branchen wie zum Beispiel Chemie, Zement und Kalk oder Glas ein wichtiges Signal!

Nicht zuletzt bedeutet der Aufbau der Direktreduktion auch einen wichtigen Anschub für die Wasserstoffwirtschaft in NRW. So werden kurzfristig große Wasserstoffbedarfe entstehen, die Infrastrukturaufbau, Wasserstofferzeugung, Importpartnerschaften und Technologieentwicklung einen entscheidenden Anschub geben werden. Natürlich sind mit der Förderung von thyssenkrupp Steel aber nicht alle Herausforderungen rund um die Wasserstoffnutzung in der Industrie gelöst. Die Strategie der Wasserstoff Roadmap NRW, zunächst einige zentrale industrielle Großverbraucher zu etablieren, war richtig. Der IPCEI-Prozess, also das Auswahlverfahren für die strategische Förderungen durch die EU-Kommission im Programm der “Important Projects of Common European Interest” (kurz IPCEI), zieht sich aber nun schon lange und geht nur schleppend vorwärts. Wir brauchen jetzt viel mehr Dynamik, um auch den für NRW so wichtigen energieintensiven industriellen Mittelstand mitzunehmen. Das ist insbesondere auch für uns als Landesgesellschaft eine zentrale Aufgabe. 

 

 

An welchen Hebeln arbeitet NRW.Energy4Climate im Bereich Wasserstoffwirtschaft als Herausforderung bzw. Voraussetzung für Klimaneutralität in der Industrie?  

 

Dr. Stefan Herrig: Wasserstoff ist eins der absoluten Kernthemen von NRW.Energy4Climate und als solches abteilungsübergreifend relevant. Neben dem Wasserstoffeinsatz in der Industrie beschäftigen wir uns auch intensiv mit der Rolle von Wasserstoff in der Energiewirtschaft und Mobilität. Unter anderem beraten wir dabei als Thinktank die Landesregierung, unterstützen mit unserem internationalen Team beim Aufbau von Importpartnerschaften und bringen uns immer wieder auch in Prozesse auf Bundes- und EU-Ebene ein. Soweit es uns als Landesgesellschaft möglich ist, unterstützen wir Unternehmen und Netzwerke bei der Entwicklung, Initiierung und Umsetzung von Wasserstoffprojekten. Aktuell arbeiten wir daran, unsere Expertise und Angebote im Bereich Wasserstoff noch sichtbarer und leichter verfügbar zu machen.  
 
Mit dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft beschäftigen sich auch unsere Arbeitsformate für Industrie, Wissenschaft und Politik innerhalb unserer Plattform IN4climate.NRW und dem dazugehörigen Industriepakt sowie im Rheinischen Revier im Rahmen von IN4climate.RR intensiv. Übrigens ist es insbesondere für die Landesinitiative IN4climate.NRW, die ja schon seit 2019 an der Transformation der Grundstoffindustrie in NRW arbeitet, ein Riesenerfolg, dass mit der Fördergenehmigung für thyssenkrupp nun eines der von Beginn an zentralen Projekte realisiert werden kann.