Klimaneutrale Prozesswärme

Erfahren Sie, wie die nordrhein-westfälische Industrie klimaneutral Prozesswärme erzeugen kann, um Ihre Produktion bis 2045 klimaneutral umzugestalten. Wir informieren über Lösungen für die Transformation der Industrie in NRW.

Ob Trocknen, Schmelzen oder Schmieden – ohne Prozesswärme wären technische Verfahren in der Industrie nicht denkbar. Zwei Drittel des Endenergiebedarfs der deutschen Industrie werden hierfür benötigt. 

 

Mit dem Begriff „Prozesswärme“ ist Wärme gemeint, die für bestimmte technische Prozesse zur Herstellung, Weiterverarbeitung oder Veredelung von Produkten benötigt wird. Etwa 471 Terawattstunden benötigt die Industrie in Deutschland jährlich für die Erzeugung dieser Prozesswärme, das entspricht knapp 20 Prozent des gesamten deutschen Endenergiebedarfs (Stand 2021). Dabei stellen die verschiedenen Industriezweige und -prozesse höchst unterschiedliche Anforderungen an das Temperaturniveau: Während das Trocknen von Papier bereits ab etwa 160 Grad Celsius (°C) möglich ist, benötigen Brenn- und Schmelzprozesse Temperaturen bis zu deutlich über 1.000 °C, vereinzelt bis zu 3.000 °C.  

 

Auch Kälte zählt zu den Wärmeanwendungen, jedoch macht der Endenergiebedarf für Prozesskälte und Klimatisierung im Industriesektor mit rund 30 Terrawattstunden pro Jahr einen eher geringen Anteil von knapp sechs Prozent aus im Vergleich zu Prozesswärme mit fast 90 Prozent. 

 

Mit Strategie zur industriellen Wärmewende

 

Noch liefern fossile Brennstoffe wie Kohle, Gas und Öl mit einem Anteil von über 70 Prozent den Hauptanteil industrieller Prozesswärme. Um die hierbei entstehenden CO₂-Emissionen zu vermeiden und eine klimaneutrale Prozesswärmeversorgung zu erreichen, empfiehlt sich die Aufteilung der zentralen Handlungsfelder in einen vierstufigen Prozess (Vier-Stufen-Grafik). Dieser sollte als letzter operativer Schritt an eine strategische Herangehensweise anknüpfen, welche in der nachfolgenden Grafik dargestellt ist.  

Vier Stufen zur klimaneutralen Prozesswärmeversorgung

Für eine vollständige Vermeidung der energiebedingten Emissionen ist zukünftig in der Regel ein Energiemix erforderlich.  Das Vier-Stufen-Modell zur Umstellung auf eine klimaneutrale Prozesswärmeversorgung sieht konkret folgende aufeinander aufbauende Handlungsmöglichkeiten vor: 

 

  • Efficiency First! Den Wärmebedarf anhand von Prozessoptimierungen und der Nutzung von Einsparpotenzialen zu senken leistet den besten Beitrag zum Klimaschutz. Die darüber hinaus anfallende „unvermeidbare“ Abwärme kann, je nach Temperaturniveau, auf vielfältige Art sowohl intern als auch extern über Wärmenetze genutzt werden. 

 

  • Mittels regionalererneuerbarer Wärmequellen lassen sich viele Wärmebedarfe z.B. für Wasch- oder Trocknungsprozesse, decken. Solarthermie und Tiefengeothermie können, je nach Prozess und Bedarf, als Ergänzung oder alleinig Prozesswärme bereitstellen und damit Abhängigkeiten vom Energiemarkt reduzieren. 

 

  • Elektrifizierung oder„Power-to-Heat“ meint die elektrische Wärmeerzeugungmit erneuerbarem Strom, die gegenüber konventioneller Verfahren Effizienzvorteile bietet (siehe Grafik zur Gegenüberstellung von Elektroden- und Gaskessel). Elektrische Erwärmungstechnologien eignen sich neben der Dampferzeugung beispielsweise auch für Schmelzprozesse, so zum Beispiel in der Glas-, Aluminium- oder Stahlherstellung.  

 

Um die Kosten einer klimafreundlichen Produktion von industrieller Prozesswärme durch Wärmepumpen und Elektrodenkessel abzuschätzen, bietet Agora Industrie einen Transformationskostenrechner Power-2-Heat zum Download an.  

 

  • Die Nutzung alternativer und speicherbarer Energieträger wird künftig eine wichtige Rolle spielen: Trotz anfallender Umwandlungsverluste bei der Herstellung werden synthetische Energieträger (wie grüner Wasserstoff) in vielen Industrieprozessen notwendig sein. Die Nutzung von Biomasse oder Biomethan empfiehlt sich besonders in Prozessen, in denen neben Wärme auch Kohlenstoff benötigt wird, so erfüllt die Biomasse neben der energetischen Nutzung auch einen stofflichen Nutzungszweck, wie etwa in der Eisen- und Stahlerzeugung. 

Alternative Technologien zur Prozesswärmebereitstellung

Von Vorteil ist, dass bei der direkten Nutzung von erneuerbarer Wärme keine zusätzlichen Umwandlungsverluste anfallen. Nachteilig sind allerdings die in NRW nur beschränkt zur Verfügung stehenden erneuerbaren Wärmequellen hinsichtlich des technisch-wirtschaftlich nutzbaren Temperaturniveaus für industrielle Zwecke.

 

Durch Solarthermie lassen sich hierzulande mit sogenannten nicht konzentrierenden Kollektoren, die sowohl direkte als auch diffuse Solarstrahlung nutzen, Temperaturen bis etwa 250 °C erzeugen. Allerdings ist diese Wärmeerzeugung sehr fluktuierend und von Tageszeiten abhängig. In Kombination mit einem Wärmespeicher jedoch kann solare Wärme die Bereitstellung von erneuerbarer Wärme für Niedertemperaturanwendungen wie Trocknungs- und Beheizungsprozesse gut unterstützen, z. B. in der Nahrungsmittelindustrie.

 

Die Nutzung von tiefer Geothermie, auch Tiefengeothermie genannt, bezieht sich auf Bohrtiefen von über 400 Metern. Die möglichen erreichbaren Temperaturen sind stark abhängig vom Standort sowie von der Untergrundbeschaffenheit. In NRW ist der Untergrund in weiten Teilen noch nicht ausreichend erforscht, es wird jedoch ein großes Potenzial vermutet. Mit Tiefengeothermie in mehreren Kilometern Tiefe lassen sich Temperaturen bis etwa 180 °C erreichen. Ein großer Vorteil ist ihre Grundlastfähigkeit, was bedeutet, dass sie keinen Tages-, Jahreszeiten- oder Wetterschwankungen unterlegen ist. Aus diesem Grund eignet sie sich zur verlässlichen Versorgung industrieller Prozesse im unteren bis mittleren Temperaturbereich (z. B. Trocknungsprozesse in der Papierindustrie) und lässt sich darüber hinaus bei Bedarf gut mit Wärmepumpen kombinieren, um das Temperaturniveau anzuheben.

Versorgungssicherheit und Infrastruktur

Prozesswärme ist für industrielle Produktionsverfahren und damit das Hauptgeschäft vieler Unternehmen essenziell. Um Produktionsausfälle und damit wirtschaftliche Risiken oder gar Schäden an Anlagen zu verhindern, muss die Versorgung sichergestellt sein. Dafür ist zukünftig insbesondere bei leitungsgebundenen Energieträgern, wie erneuerbarem Strom oder Wasserstoff, der Auf- und Ausbau einer leistungsfähigen Netzinfrastruktur dringend notwendig. 

 

Das sensible Stromnetz etwa erfordert zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität flexible Kraftwerke. Auch Industrieunternehmen können zukünftig einen Beitrag zur notwendigen Flexibilisierung und Netzstabilisierung leisten: In Zeiten eines Überangebots können sie Solar- und Windstrom flexibel und kostengünstig für ihre Wärmeproduktion einsetzen und so die Energie speichern. Insbesondere bei der Elektrifizierung von Prozesswärme sind jedoch teilweise erhöhte Netzanschlusskapazitäten nötig. Deswegen ist eine frühzeitige Absprache mit dem Netzbetreiber hilfreich. Zusätzlich können sich Unternehmen in den Prozess der Übertragungsnetzplanung einbringen.  

 

Informationen zum Konsultationsverfahren des Netzentwicklungsplans Strom (NEP Strom)  

 

Dies gilt ebenso für den Aufbau einer Transport- und Speicherinfrastruktur für Wasserstoff. Industrieunternehmen können ihre Bedarfe bei den Fernleitungsnetzbetreibern melden, sodass sie entsprechend in die Netzentwicklungsplanung einbezogen werden können.  

 

Informationen zum Wasserstoffnetz und zum Netzentwicklungsplan Gas (NEP Gas) 

 

Im Rahmen der Systementwicklungsstrategie (SES) wird darüber hinaus vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) eine sektorübergreifende Strategie für die Transformation des Energiesystems entwickelt.  

 

Viele Industrieprozesse werden außerdem auch heute schon über Fernwärme versorgt. Die Zukunftsentwicklung von Wärmenetzen soll im Rahmen von Transformationsplänen erfolgen.  

Finanzielle Unterstützung bei der Prozesswärmewende

 

Einen Überblick über aktuelle Fördermöglichkeiten bietet das FÖRDER.NAVI. In NRW gibt es unter anderem die nachfolgenden passenden Fördermittel: 

Förderungen von Wärmekonzepten

  • Was wird gefördert? Technisch-wirtschaftliches Konzept für Einsparungen und den Ersatz fossiler Brennstoffe für Prozesswärme 

  • Wer kann die Förderung beantragen? Unternehmen und Handwerksbetriebe des produzierenden Gewerbes mit bis zu 2.500 Mitarbeitenden 

  • Wie viel wird gefördert? Maximal 50 Prozent der Beratungskosten (60 Prozent für Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden), bis 25.000 Euro (45.000 Euro für Konzepte, die Bereitstellung oder Einbindung von Abwärme über Unternehmensgrenzen hinweg beinhalten) 

Die Förderung erfordert qualifizierte externe Beratung. Sowohl die Energieeffizienz-Expertenliste für Förderprogramme des Bundes als auch die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle bereitgestellte Energieauditoren-Suche können Ihnen bei der Suche nach geeigneten Expert:innen helfen. 

Weg vom Gas-Kredit

  • Was wird gefördert? Kredit mit Tilgungszuschuss für die zeitnahe Umstellung der Prozessenergieversorgung von Erdgas auf Erneuerbare Energien 

  • Wer kann den Kredit beantragen? Unternehmen und Handwerksbetriebe des produzierenden Gewerbes mit weniger als 50 Mitarbeitenden 

  • Wie viel kann beantragt werden? Maximaler Kreditrahmen 2 Millionen Euro, Tilgungszuschuss maximal 30 Prozent und maximal 200.000 Euro 

Aktuelle Publikationen

Prozesswärme für eine klimaneutrale Industrie

Wie kann die so dringende Wärmewende in der Industrie beschleunigt werden? Das Impulspapier der Initiative IN4climate.NRW zeigt Lösungen und Hebel auf, um die Versorgung der Industrie mit klimaneutraler, nachhaltiger Prozesswärme zu ermöglichen.

0,69 MB 25.05.2022 pdf

Industriewärme klimaneutral: Strategien und Voraussetzungen für die Transformation

Die Herstellung wichtiger Grundstoffe wie Metall, Glas oder Zement erfordert hohe Temperaturen. Damit macht Prozesswärme rund zwei Drittel des Energiebedarfs der Industrie aus. Ein Diskussionspapier der AG Wärme.

2,66 MB 06.12.2021 pdf

Der nachhaltige Einsatz von Biomasse

Biomasse ist eine wichtige Ressource auf dem Weg zur Klimaneutralität. Als vielfältig einsetzbarer Rohstoff und erneuerbarer Energieträger wird sie künftig auch eine essenzielle Rolle in der Industrie spielen. Das Diskussionspapier der Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate gibt Impulse, wo Biomasse in der Industrie und zur Energiegewinnung zukünftig am effizientesten und besonders nachhaltig eingesetzt werden kann.

4,54 MB 12.01.2023 pdf

Best Practice

NRW.Energy4Climate präsentiert ausgewählte Forschungs- und Anwendungsprojekte aus Nordrhein-Westfalen, die die Transformation in Richtung Klimaneutralität ermöglichen. Hier erhalten Sie einen Überblick über herausragende Projekte im Bereich Wasserstoff und Geothermie, die Akteure aus verschiedensten Branchen bereits heute umsetzen.

Blick auf Produktionshalle der Papierindustrie

Industrie & Produktion

Kabel ZERO

Ziel des Projekts „Kabel ZERO“ ist die Entwicklung einer klimafreundlichen Dampferzeugung für den Einsatz in den besonders energieintensiven Trocknungsprozessen der Papierindustrie. In Hagen soll dabei für die Papiertrocknung zukünftig Energie auf Basis von Erdwärme eingesetzt werden.

 
Flammenbild Hochtemperaturofen

Industrie & Produktion

HyGlass

Im Projekt „HyGlass“ untersuchen der Bundesverband Glasindustrie und das Gas- und Wärmeinstitut in Essen die Frage, wie sich Wasserstoff in der Glasindustrie optimal nutzen lässt.

 
Bescheidübergabe durch den Minister

Industrie & Produktion

Wasserstoff statt Kohlenstoff by thyssenkrupp Steel

thyssenkrupp Steel hat einen weltweit bislang einmaligen Versuch gestartet: Am Hochofen wird Kohlenstaub durch Wasserstoff ersetzt. Die erste Phase der Versuche am "Hochofen 9" in Duisburg wurde erfolgreich abgeschlossen

 

Ihr Kontakt

Portrait der Projektmanagerin Industrie und Produktion Tania Begemann vor einer Glasfront.

Tania Begemann

Projektmanagerin Industrie und Produktion

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