Grüne Leitmärkte – Hebel für klimaneutrale Grundstoffproduktion?

25.06.2024

Wie kann die Nachfrage nach klimafreundlich hergestellten Produkten gestärkt und unterstützt werden? Und was macht Produkte überhaupt „grün“? Das im Mai vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgestellte Konzept “Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe“ soll den Grundstein legen, um grüne Leitmärkte für die Stahl-, Zement- und Teile der Chemieindustrie zu schaffen. Im Rahmen einer Veranstaltung hat NRW.Energy4Climate die Potenziale für NRW beleuchtet.

Klimaneutral hergestellte Grundstoffe wie grüner Stahl oder Zement sind für eine absehbare Zeit noch teurer als ihre emissionsintensiven grauen Konkurrenzprodukte. Während bisherige Maßnahmen der deutschen Klimapolitik, wie z.B. Klimaschutzverträge, darauf abzielten, die Angebotsseite durch Fördermittel zu unterstützen, nimmt das BMWK-Konzept nun die Nachfrageseite in den Blick: Sogenannte grüne Leitmärkte sollen dabei helfen, die Nachfrage nach emissionsreduzierten Grundstoffen zu stärken. Dadurch sollen Angebot und Nachfrage in Einklang gebracht und Investitionssicherheit für Unternehmen geschaffen werden. Diese Nachfrage kann beispielsweise durch Selbstverpflichtungen der öffentlichen Hand oder privater Akteure erzeugt werden, die bestimmte Mengen grüner Produkte beschaffen. Weitere Möglichkeiten sind Standards oder verbindliche Quoten für den Einsatz grüner Grundstoffe in der Produktion. Notwendige Voraussetzung sind allerdings klare Schwellenwerte für die Definitionen "grüner" Produkte, die nun im Konzept des BMWK erstmals für die Grundstoffe Stahl, Zement, Ethylen und Ammoniak festgelegt wurden.

Was ist “grün”?  Private Label-Initiativen als Chance

Bei einer Veranstaltung von NRW.Energy4Climate zu Grünen Leitmärkten im Juni 2024 berichtete Stela Ivanova vom BMWK, von der Entwicklung staatlicher Labels für die Kennzeichnung klimafreundlicher Produkte, die noch etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen wird. Eine große Chance zur Beschleunigung der Transformation liegt daher in privaten Label-Initiativen. Nachdem die Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) bereits ein Kennzeichnungssystem für CO2-reduzierten Stahl veröffentlicht hat, will auch der Verein Deutscher Zementwerke in Kürze einen Standard vorlegen. Aktuell fehlt es jedoch an ausreichender Zahlungsbereitschaft für die Mehrkosten grüner Produkte, wie Vertreter:innen der Grundstoffindustrien bei der Veranstaltung im Wissenschaftspark Gelsenkirchen erneut bestätigten. Die öffentliche Beschaffung, die rund 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht, kann daher als Motor für die Nachfrage nach grünen Produkten dienen.

Bedeutung für Nordrhein-Westfalen

Obwohl die Definition und Harmonisierung der Standards auf Bundes- und EU-Ebene erfolgen, spielen Länder und Kommunen eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung. Der westfälische Anteil an den öffentlichen Vergaben der Bundesländer beträgt 14 Prozent, auf kommunaler Ebene stammen sogar 22 Prozent der öffentlichen Aufträge aus NRW. Öffentliche Bauaufträge sind häufig stahl- und zementintensiv, beispielsweise bei Investitionen in öffentliche Infrastrukturprojekte. Trotz politischer Ziele und rechtlicher Grundlagen bleibt die grüne öffentliche Beschaffung bisher hinter ihren Möglichkeiten zurück. Nur in zehn bis elf Prozent der Fälle werden in NRW umweltbezogene Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt, obwohl der Einbezug solcher Kriterien in öffentliche Ausschreibungen vergaberechtlich bereits möglich ist. Wie Dr. Anna Leipprand vom Wuppertal Institut in ihrem Vortrag auf der Veranstaltung zum Thema Grüne Leitmärkte betonte, liegen die Herausforderungen unter anderem in einer mangelnden Datenlage, unzureichenden administrativen Kapazitäten sowie Unsicherheiten bezüglich Mehrkosten, Produktqualität und Verfügbarkeit.

Nur die öffentliche Vergabe allein wird es jedoch nicht richten, da 85 Prozent des BIP durch private Ausgaben generiert werden. Es sei daher wichtig, dass sich Unternehmen in Schlüsselbranchen wie der Automobil- oder Bauindustrie verbindliche Ziele setzen, bis wann und in welchen Mengen sie CO2-armen Stahl, Zement oder Kunststoff nachfragen, um die Scope-3-Emissionen der Unternehmen deutlich zu reduzieren, zeigte Leipprand auf. Ein Beispiel für solche Unternehmensinitiativen ist die First Movers Coalition des World Economic Forum.