Repowering-Offensive NRW: Fachexpert:innen identifizieren Hindernisse und Lösungsansätze

01.10.2024

Im Herbst 2023 startete das Land NRW die „Repowering-Offensive“ mit dem Ziel, einen Anstoß für Repowering-Projekte in Nordrhein-Westfalen zu geben. Zum Auftakt wurden im Rahmen eines Fachgesprächs die Möglichkeiten, Chancen und aktuell bestehende Hemmnisse des Repowerings herausgearbeitet. Dies sind die wichtigsten Hintergrundinformationen und Ergebnisse.

Bestehende Windenergieanlagen durch neue, effizientere Anlagen zu ersetzen, ermöglicht die Reduzierung der Anlagenzahl bei gleichzeitiger Leistungssteigerung. Das so genannte Repowering ist eine wichtige Säule der Energiewende. Für die Entwicklung von Maßnahmen, die das Repowering in Nordrhein-Westfalen vereinfachen, tauschten sich unter Federführung des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIKE) und NRW.Energy4Climate Fachexpert:innen verschiedener Organisationen mit Projektierungs- und Betreiberunternehmen über bestehende rechtliche, verwaltungsseitige, betriebswirtschaftliche und technische Hemmnisse aus, um daraus Strategien abzuleiten.

Chancen und Hemmnisse der aktuellen Repowering-Sonderregelungen 
Grundlage für das Repowering sind die Paragraphen 16b des deutschen Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und 245e und 249 des deutschen Baugesetzbuches (BauGB). Sie beschreiben bau- und planungsrechtliche Sonderregelungen, denen die Teilnehmenden des Fachgesprächs ein großes Potenzial zur Beschleunigung des Windenergieausbaus bescheinigen. So gilt gemäß § 245e Abs. 3 BauGB die derzeit noch vorherrschende Konzentrationswirkung für Windenergieprojekte nicht für Repowering-Vorhaben – es sei denn die Grundzüge der Planung sind berührt. Die Fachleute kritisierten jedoch in diesem Zusammenhang, dass der Rechtsbegriff des „Berührens der Grundzüge der Planung“ aufgrund fehlender gesetzlicher Definition und Rechtsprechung unklar sei. Bei zu enger Anwendung entfiele die beabsichtigte gesetzliche Privilegierung des Repowerings in Gänze. Die Auslegung des unklaren Rechtsbegriffs wurde bereits im Rahmen eines Rechtsgutachtens der FA Wind & Solar diskutiert. Nach Ansicht des anwesenden Energierechtlers könnte eine Klarstellung des Landes NRW im Rahmen eines Erlasses hilfreich sein. Dieser sollte genauer definieren, wie der Begriff für die Planungsbehörden auszulegen ist. 

Auch § 249 Abs. 3 BauGB besitzt eine erhebliche Beschleunigungswirkung. Dieser besagt, dass Repowering-Vorhaben auch nach Erfüllung der Flächenbeitragswerte bis Ende des Jahres 2030 im Außenbereich privilegiert bleiben. Die anwesenden Projektierungsunternehmen sprachen sich dafür aus, dass die Privilegierung im Rahmen des § 249 BauGB auch nach Ende 2030 bestehen bleiben solle.

Bezüglich der planungsrechtlichen Sonderregelungen wurde im Fachgespräch auf die unklare Repowering-Definition in § 16b BImSchG hingewiesen: Unklar sei, ob die Regelung das Repowern einer Bestandsanlage durch mehrere neue ermögliche. Auch andere Hemmnisse stellten einige Repowering-Projekte vor große Herausforderungen. Dazu gehören der enge zeitliche Rahmen von 24 Monaten für die Errichtung der Neuanlage nach Rückbau der Bestandsanlage sowie die begrenzte Flächenverfügbarkeit innerhalb des maximalen Abstands in Höhe der zweifachen Gesamthöhe der Neuanlage zur Bestandsanlage. Es stelle sich außerdem die Frage, ob bestehende Anlagen in Natura-2000-Gebieten repowert werden können. Auch hier würde eine Vergrößerung des Abstandes zwischen Bestands- und Neuanlage mehr Repowering-Projekte ermöglichen.

Die Novelle des BImSchG vom 08. Juli 2024 greift diese Themen bereits auf. § 16b Abs. 2 BImSchG führt aus, welche Verfahren das Repowering umfasst. Außerdem ermöglicht dieser Passus, eine Bestandsanlage durch mehrere neue Anlagen zu repowern. Der Zeitraum der Neuanlagen-Errichtung wurde auf 48 Monate nach Rückbau verlängert und der Abstand zwischen Bestands- und Neuanlage wurde auf das Fünffache der Gesamthöhe der Neuanlage erweitert. 

1.    Immissionsschutzrechtliche Sonderregelungen
Grundlegendes zur Delta-Prüfung 
Nach Ansicht der Expert:innen ermöglicht die sogenannte Delta-Prüfung nach § 16b BImSchG und § 45c BNatSchG grundsätzlich neue und hilfreiche Handlungsspielräume und könne den Windenergieausbau durch einen geringeren Prüfumfang beschleunigen. 

Allerdings scheitere sie derzeit insbesondere an fehlenden einheitlichen Bewertungsmethoden. Die Durchführung der Delta-Prüfung sei in den Genehmigungsbehörden zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich erprobt und bewährt. Darüber hinaus sei der Prüfungsumfang für die Behörden unklar. Dies führe zu unterschiedlichen Prüfungen und Prüfumfängen auf Ebene der Unteren Behörden. 
Wenn Altanlagen in großer Entfernung zur Neuanlage repowert werden, sei die Delta-Prüfung ebenfalls nicht zielführend, da es sich faktisch um ein anderes Projekt mit anderen Auswirkungen handele. Projektierungsunternehmen hielten dem jedoch entgegen, dass größere Standortverschiebungen in der Realität ohnehin häufig nicht möglich seien.

Darüber hinaus erweise sich die Erhebung des Ist-Zustands bestehender Anlagen oft als sehr schwierig. Denn die Genehmigungsunterlagen der Bestandsanlagen entsprächen nicht den heutigen immissionsschutzrechtlichen Standards. Dies führe im ungünstigsten Fall dazu, dass die immissionsschutzrechtlichen Auswirkungen der Bestandsanlage in Gänze – auf der Basis heutiger Standards – neu beurteilt werden müssten. Damit würden praktisch zwei immissionsschutzrechtliche Prüfungen – für die Bestandsanlage und für die Neuanlage – durchgeführt und somit statt einer Vereinfachung und Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens genau das Gegenteil bewirkt. 

Natur- und Artenschutz in der Delta-Prüfung
Die Expert:innen führten bei der Fachtagung an, dass veraltete Standards und unklare Auslegungen in der Vergangenheit auch im Natur- und Artenschutz Probleme bei der Delta-Prüfung verursachten: 
Häufige und umfangreiche Prüfaufträge sowie Nebenbestimmungen führten zu Frustrationen auf Seiten der Vorhabenträger:innen. 

Einer der Teilnehmenden berichtete, dass Behörden im Genehmigungsverfahren nach § 16b BImSchG häufig von einer Vergrößerung der Rotorkreisfläche ausgehen würden, weil die Neuanlage einen größeren Rotordurchmesser als die Altanlage hat. Dies würden die Behörden als eine größere Gefährdung für den Artenschutz werten. Eine Vergrößerung der gesamten Rotorkreisfläche sei jedoch selten der Fall, da eine Neuanlage häufig mehrere Altanlagen ersetze und die Rotorkreisfläche dadurch insgesamt abnehme. Die Genehmigungsbehörden sollten daher nach Expert:innenmeinung im Genehmigungsverfahren nicht nur auf eine einzige, sondern auf alle Bestandsanlagen im Repowering-Verfahren Bezug nehmen. 
Darüber hinaus sei auch die Schlaggefahr – also das Kollisionsrisiko für windenergiesensible Arten – bei den Neuanlagen geringer oder gar nicht gegeben. Denn diese bestehe erst ab 50 bis 60 Stundenkilometern und moderne, größere Anlagen drehten sich langsamer. 

Des Weiteren sei bei der Delta-Prüfung unklar, ob eine zunehmende Gefährdung einer bestimmten windenergiesensiblen Art bei gleichzeitiger Verbesserung der Situation für eine andere Art ein Gleichbleiben der Umweltauswirkungen darstellt oder ob oder es auf die jeweiligen betroffenen Arten und dessen Gewichtung ankommt.
Es bestand überwiegend Einigkeit darüber, dass eine landesweite Standardisierung des Prüfverfahrens diese Hemmnisse abbauen könnte. Ein Projektierungsunternehmer führte an, dass dies beispielsweise durch eine Auslegungshilfe für die Genehmigungsbehörden im Rahmen des Artenschutzleitfadens NRW möglich sei. Der anwesende Energierechtler ergänzte, dass dabei auch andere Aspekte klargestellt werden könnten. Dazu gehört zum einen die Frage, wann welche gebotenen Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen sind. Zum anderen könnte die Auslegungshilfe festlegen, dass im Rahmen der Delta-Prüfung die Veränderung der Umweltauswirkungen im Gesamten beurteilt werden. Einzelne immissionsschutzrechtliche Verschlechterungen dürften dabei nicht zu einer Versagung der Genehmigung führen. 

Allgemein wurde es in diesem Zusammenhang bei der Fachtagung als wichtig erachtet, die Genehmigungsbehörden in die Hemmnisanalyse einzubeziehen und die Standardisierung gemeinsam zu erarbeiten. 
Einer der Projektierungsunternehmer schlug verpflichtende Repowering-Schulungen für die unteren Genehmigungsbehörden vor, um eine einheitliche Umsetzung zu gewährleisten. Diese könnten dazu beitragen, restriktiven Auslegungen und zahlreichen Auflagen für Windenergieprojekte durch einzelne untere Genehmigungsbehörden vorbeugen. 

Eine weitere Standardisierung könnte laut der FA Wind & Solar durch die Anwendung der Probabilistik erfolgen. Diese sei für erste Arten zeitnah möglich. Damit könne die Delta-Prüfung zur Bewertung des Kollisionsrisikos einzelner Arten bei Repowering-Vorhaben erleichtert werden.
Um die Anzahl von Abschaltungen zu reduzieren, schlugen Projektierungsunternehmer:innen vor, im Gegenzug verstärkt auf (höhere) Entschädigungszahlungen für den Natur- und Artenschutz zurückzugreifen. Dies würde zu einer verbesserten Wirtschaftlichkeit von Repowering-Projekten führen und gleichzeitig den Natur- und Artenschutz gewährleisten – oder sogar erhöhen. Denn durch geringere Abschaltquoten würde mehr Strom erzeugt und somit müssten insgesamt weniger Windenergieanlagen gebaut werden.

Regelungen zu Schallimmissionen in der Delta-Prüfung:
Auch die Herausforderungen bei den Schallimmissionsprüfungen wurden bei der Fachtagung zum Repowering thematisiert: 
So gestalteten sich Standortplanungen aufgrund uneinheitlicher Entscheidungen und inkonsistenter Auslegungen der Genehmigungsbehörden teilweise sehr schwierig. 
Darüber hinaus stellte ein Projektierungsunternehmen fest, dass sehr hohe Anforderungen an Schallimmissionen gestellt würden, obwohl die Umgebung – beispielsweise durch deutlich lautere Schallimmissionen aus dem Verkehr – bereits vorbelastet sei. 

Die Schallimmissionen würden in vielen Fällen ein 1:1-Repowering verhindern. 
Darüber hinaus überschätzten laut Projektierungsunternehmen die Immissionsschutzbehörden die Schallbelastung von Windenergieanlagen systematisch. 
Eine Genehmigungsexpertin erklärte, dass die Auswahl qualifizierter Schallgutachter:innen zu einer besseren Nutzung des Optimierungspotenzials führen könne – und dadurch die Schallimmissionen realistischer eingeschätzt würden. 

Die Expertin erhoffte sich außerdem eine stärkere Nutzung der Irrelevanzregelungen und Sonderfallprüfung der „Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA Lärm). Eine sachgerechte Anwendung könne hier durch Erlasse unterstützt werden.

2.    Weitere und sonstige Chancen und Hemmnisse des Repowerings in der Praxis
Über die genannten rechtlichen Aspekte hinaus sahen Tagungsteilnehmende noch weitere Hindernisse für das Repowering:
Ein Hemmnis läge darin, dass die Repowering-Sonderregelungen für bereits abgeschlossene oder zum Teil noch laufende Verfahren nicht mehr anwendbar sind. Dadurch würden einige aussichts- und ertragreiche Windenergieflächen ausgeschlossen. 

Ein weiteres Hindernis seien die begrenzten Netzkapazitäten. So könnten manche der leistungsstärkeren Neuanlagen nicht errichtet werden, weil die vorhandenen Netzanschlüsse nicht ausreichen. Ein Projektierungsunternehmer forderte, die Überbuchung von Netzkapazitäten zum neuen Standard zu machen. Studien zeigten bereits, dass dies in der Praxis möglich sei. 

Und schließlich könnten auch Beteiligungskonzepte zu Hemmschuhen werden. Beim Fachgespräch herrschte Einigkeit darüber, dass Beteiligungskonzepte für Anwohner:innen und Kommunen vor Ort auch im Rahmen von Repowering-Projekten notwendig und wichtig seien, um die Akzeptanz der Windenergie vor Ort zu wahren. Seitens der Betreiber wurde jedoch auch darauf hingewiesen, dass die gestiegenen Kosten – insbesondere die Zinsen und Anlagekosten – einen engeren wirtschaftlichen Rahmen als bisher setzen würden. Hohe Beteiligungsforderungen von Kommunen seien daher teilweise nicht darstellbar. Aus Betreibersicht sollte die Wahl der Beteiligungsmodelle weiterhin flexibel gestaltet werden können. Diesen Punkten wurde mit dem Inkrafttreten des Bürgerenergiegesetzes zum 28. Dezember 2023 Rechnung getragen.

An dem Fachgespräch haben Fachexpert:innen des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW, der Deutschen Energie-Agentur (dena) und der Fachagentur Wind- und Solarenergie (FA Wind & Solar) sowie von Projektierungs- und Betreiberunternehmen und einer Anwaltskanzlei teilgenommen. Begleitet wurde das Fachgespräch von Partnerschaft Deutschland.