Interview: Welche Neuerungen bringt die nationale Carbon Management-Strategie?
24.06.2024
Am 29. Mai 2024 wurden die Eckpunkte der nationalen Carbon Management-Strategie und der Gesetzesentwurf zur Novelle des Kohlendioxidspeicherungsgesetzes (KSpG) vom Bundeskabinett beschlossen. Im Interview gibt Dr. Iris Rieth-Menze, Expertin für Kohlenstoffwirtschaft bei NRW.Energy4Climate, einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen und ordnet ein, was sie für Carbon Management in Deutschland bedeuten.
Frau Dr. Rieth-Menze, Anfang Juni wurde im Bund der lang erwartete Gesetzesentwurf zur Speicherung von CO2 veröffentlicht. Was sind die wichtigsten Neuerungen, die mit der Novelle des Gesetzes vorgesehen sind?
Der Entwurf für die Gesetzesänderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes schafft die Grundlage dafür, dass die Speicherung von CO2 im Meeresgrund der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee zukünftig erlaubt werden kann. Die Speicherung an Land, also Onshore, wird ebenfalls ermöglicht, fällt aber unter das jeweilige Landesrecht. Das bedeutet, die Bundesländer können selbst entscheiden, ob sie die Onshore-Speicherung zulassen oder nicht. Außerdem würde die Gesetzesänderung auch den Transport von CO2 nicht nur zum Zweck der geologischen Speicherung, sondern auch zum Zweck der Nutzung des CO2 beispielsweise in der chemischen Industrie regeln. Somit würden für Speicherung und Nutzung dieselben Regelungen für den Transport gelten, was vieles vereinfachen würde. Neben den großen inhaltlichen Punkten soll die Gesetzesänderung für die Harmonisierung mit dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sorgen.
Die Gesetzesänderung würde somit das Carbon Management in Deutschland erst ermöglichen. Die inhaltlichen Änderungen würden sich laut Gesetzesänderung auch in dem Namen des neuen Gesetzes widerspiegeln: Kohlendioxidspeicherung- und -transportgesetz.
Neben dem Gesetzesentwurf wurden zeitgleich die Eckpunkte der nationalen Carbon Management-Strategie veröffentlicht. Was legen diese Eckpunkte heruntergebrochen fest?
Die Eckpunkte zeigen vor allem die Anerkennung der Bundesregierung von CCU und CCS als notwendige Klimaschutztechnologien. Außerdem wird deutlich, für welche Zwecke diese Technologien prioritär angewendet werden sollen: und zwar für schwer vermeidbare und anderweitig nicht vermeidbare Emissionen. Auf diese Anwendungen werden sich auch die Förderung des Bundes über die Förderrichtlinie „Bundesförderung Industrie und Klimaschutz“ (FRL BIK) und die Klimaschutzverträge beschränken. Demgegenüber soll die Abscheidung von CO2 überall erlaubt werden - außer an kohlebetriebenen Kraftwerken und bei kohlebetriebenen KWK--Anlagen (Kraft-Wärme-Kopplung).
Die CO2-Infrastruktur soll privatwirtschaftlich innerhalb eines staatlichen Regulierungsrahmens aufgebaut und betrieben werden. Die Eckpunkte sehen dabei beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren vor. Wie konkret die CO2-Infrastruktur realisiert werden kann, soll im Zuge der Carbon Management-Strategie ausgearbeitet werden.
Darüber hinaus geht die Strategie davon aus, dass neben der Speicherung in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee und ggf. auf dem deutschen Festland auch die Speicherung in ausländischen Speicherstätten notwendig sein wird und die Bundesregierung den entsprechenden rechtlichen Rahmen schaffen wird. Grund dafür sind die bereits weiter fortgeschrittene Erkundung und Erschließung von Speicherstätten, zum Beispiel in Norwegen, Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden.
Die Technologie der Kohlendioxidspeicherung (CCS) ist nicht unumstritten, besonders von Umweltschutzverbänden. Wie beurteilen Sie CCS?
CCS ist für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels unerlässlich – hier ist sich die Wissenschaft einig. Es ist nicht absehbar, dass wir auf die Materialien und Produkte, bei deren Herstellung schwer vermeidbare Emissionen entstehen, verzichten können. Zum Beispiel wird Kalk für die Trinkwasseraufbereitung benötigt, Zement für den Ausbau von Infrastruktur und als Fundament für Windkraftanlagen. Alternative Materialien werden zwar erforscht, sind aber längst noch nicht bereit für den Einsatz. Zudem wird für die Herstellung dieser Materialien oft auf Biomasse als Rohstoff zurückgegriffen, beispielsweise Holzbau statt Betonbau. Würden wir komplett darauf umstellen, gehen wir allerdings das Risiko ein, durch Abholzung und intensiveren Anbau von Nutzpflanzen sowohl Biodiversität als auch natürliche CO2-Senken zu mindern.
Natürlich müssen auch das Meer und seine Bewohner geschützt und Monitoring, Reporting und Haftbarkeit klar geregelt werden. Hierzu gibt es auf EU-Ebene bereits einen rechtlichen Rahmen; die CCS Directive. Wir begrüßen es daher, dass der Meeresschutz in den Eckpunkten mitgedacht wird und konkrete Maßnahmen dafür benannt werden.
Wie bewerten Sie die Risiken von CCS für das Ökosystem Meer?
Eine große Sorge von Kritiker:innen der CCS-Technologie ist die Frage der Sicherheit von Speicherstätten. Das GEOMAR hat das Risiko von Lecks untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass durchaus CO2 in geringen Mengen austreten kann. Dies hat aber lediglich Auswirkungen auf die direkte Umgebung der Speicherstätte auf dem Meeresgrund, da das austretende CO2 durch die Strömung schnell verteilt wird. Wichtig sind klare Rahmenbedingungen im Vorfeld, besonders zur geologischen Beschaffenheit von Speicherorten. Sie helfen, Risiken zu mindern, um das Ökosystem Meer nicht zu schädigen.
Braucht es wirklich CCS? Kann CCU nicht stattdessen die Lösung sein?
Als alternative Lösung wird oft CCU genannt. Doch zum einen sind die Technologien noch in den Kinderschuhen, und zum anderen kann die Nutzung zwar Emissionen reduzieren, doch das CO2 ist in den meisten Fällen nicht langfristig in den Produkten gebunden. Das bedeutet, es erreicht in vielen Fällen die Atmosphäre lediglich später, also während der Nutzungsphase oder danach, am sogenannten End-of-Life.
Deswegen ist CCS meiner Meinung nach alternativlos, wenn es darum geht, Klimaneutralität zu erreichen.