Herausforderung Genehmigungsverfahren: Wie lassen sie sich beschleunigen?

10.02.2023

Die Anzahl erforderlicher Genehmigungsverfahren in der Industrie steigt in den kommenden Jahren rapide. IN4climate.NRW zeigt im kürzlich veröffentlichten Diskussionspapier „Eckpunkte zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren“ mit konkreten Handlungsfeldern und Maßnahmen auf, wie dies bewältigt und wie Genehmigungsverfahren in der energieintensiven Industrie beschleunigt werden können.

Im Interview berichten die beiden Autoren Finn Arnd Wendland (Institut der deutschen Wirtschaft) und Prof. Dr.-Ing. Ulrich Seifert (Fraunhofer UMSICHT) von den aktuellen Herausforderungen.

 

Was beinhalten Genehmigungsverfahren? Wie laufen sie in der Regel ab?

 

Finn Arnd Wendland: Die Durchführung von Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, kurz BImSchG, für Industrievorhaben beinhaltet in der Regel die Schritte der Verständigung über die erforderlichen Antragsunterlagen und Sachverständigengutachten (zwischen der Genehmigungsbehörde und dem Träger des Vorhabens), der Erstellung der Antragsunterlagen (durch den Träger des Vorhabens und durch beauftragte Sachverständige), der Vollständigkeitsprüfung (der Unterlagen durch die Behörde), der Beteiligung von weiteren Behörden (Einholen von Stellungnahmen), bei förmlichen Verfahren der Beteiligung der Öffentlichkeit (Auslegen der Unterlagen), und abschließend der inhaltlichen Prüfung der Antragsunterlagen und der Entscheidung der Behörde über die Erteilung der Genehmigung (üblicherweise mit Nebenbestimmungen in Form von Bedingungen und Auflagen). Neben der Dauer des Verfahrens selbst bestimmen die vor- und nachgeschalteten Phasen der Flächenausweisung/-akquise und der Projektrealisierung, in welchem Zeithorizont eine Neubaumaßnahme umgesetzt werden kann.

 

Warum dauern Genehmigungs­verfahren häufig lange?

 

Prof. Dr.-Ing. Ulrich Seifert: Neben technischen Beschreibungen des Vorhabens sind in Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG auch diverse Gutachten externer Sachverständige als Teil der Antragsunterlagen vorzulegen. Sofern sich z. B. eine Umweltverträglichkeitsprüfung als notwendig erweist, kann speziell bei neuen Anlagen ein erheblicher Zeitbedarf für die erforderlichen Untersuchungen entstehen.

 

Bei bereits im vereinfachten Verfahren nach dem BImSchG genehmigten Anlagen kann bspw. eine Erhöhung der Anlagenkapazität dazu führen, dass ein förmliches Genehmigungsverfahren für die erweiterte Anlage erforderlich wird und somit ein längeres Verfahren als für die ursprüngliche Anlage.

 

Die Genehmigungsplanung neuer Anlagen ist ein Teil der Fachplanung, der bereits in einer Phase stattfindet, in der einige Details (wie z. B. die Lieferanten von Komponenten und Teilanlagen) noch nicht final feststehen. Daher ist es sinnvoll, zwischen den für die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit erforderlichen Unterlagen und Konzepten und weiteren zur Inbetriebnahme erforderlichen Detailangaben und Nachweisen zu unterscheiden. Insbesondere bei Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung kann es die verfahrensführende Behörde vor eine Herausforderung stellen, die formale Vollständigkeit der Unterlagen bereits dann festzustellen und die öffentliche Auslegung der Unterlagen vorzunehmen, wenn Detailunterlagen noch nicht vorliegen.

 

Welche Auswirkungen haben die langen Prozesse und die Verfahrensdauer für die Transformation Richtung Klimaneutralität?

 

Finn Arnd Wendland: Die immissionsschutzrechtliche Prüfung soll sicherstellen, dass der Umfang schädlicher Umweltauswirkungen bei Industriemaßnahmen nach einheitlichen Vorgaben möglichst gering ausfällt. Systematische Überschreitungen der vorgesehenen Zeiträume, von der Antragstellung bis zur Antragsentscheidung, wie sie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einer jüngsten Auswertung der Durchschnittsdauer von vereinfachten Verfahren konstatierte, sind jedoch aus unternehmerischer und klimapolitischer Sicht problematisch, wenn sie die Planungsunsicherheiten erhöhen und notwendige Maßnahmen für die Industrietransformation kurz- bis mittelfristig auf der Strecke bleiben. Eine Beschleunigung der Verfahren ist in besonderem Maß relevant, da im Zuge der klimapolitischen Verschärfungen innerhalb der nächsten Jahre von einer Zunahme genehmigungsrelevanter Projekte auszugehen ist.

 

Welche Chancen bietet die Digitalisierung, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen?

 

Prof. Dr.-Ing. Ulrich Seifert: „Digitalisierung von Verwaltungsverfahren“ ist ein weiter Begriff, der nicht mit der elektronischen Bereitstellung von Antragsformularen zum Ausfüllen und Ausdrucken endet, sondern idealerweise die digitale Unterstützung des gesamten Verwaltungsverfahrens einbezieht. Bei so komplexen Verfahren wie einer Genehmigung nach dem BImSchG schließt dies den gesicherten Zugang aller beteiligten Träger öffentlicher Belange zu den Antragsunterlagen ebenso ein wie die Digitalisierung des gesamten Prozesses, einschließlich des Zugangs zu bereits vorliegenden Untersuchungsergebnissen. So könnte aus der Digitalisierung ein maximaler Nutzen für die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren gezogen werden.

 

Eine zusätzliche und besondere Herausforderung liegt aktuell im Schutz vor missbräuchlichen Zugriffen auf das in den vollständigen Antragsunterlagen enthaltene Know-how der Vorhabenträger, insbesondere in Form von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, wie auch des Schutzes aller sicherheitsrelevanten Informationen vor unkontrolliertem Zugriff aus dem Internet.

 

Das kürzlich von IN4climate.NRW veröffentlichte Diskussionspapier widmet sich genau dieser Problematik. Was sind die Kernempfehlungen von IN4climate.NRW zur Verbesserung und Beschleunigung?

 

Finn Arnd Wendland: Für eine erfolgreiche Industrietransformation im Sinne der Klimaziele ist es wichtig, dass die Umsetzbarkeit im Rahmen der genehmigungsrelevanten Voraussetzungen auf Landesebene gewährleistet ist. Zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren zählen Maßnahmen, die vorausschauend klären, wie mit potenziellen Interessenskonflikten kurz- bis mittelfristig umzugehen ist, bspw. durch einen intensiven Austausch zwischen Ministerien. Auf rechtlicher Ebene sind Klarstellungen notwendig, wie Genehmigungsentscheidungen bei wichtigen Sprungtechnologien zeitgerecht herbeigeführt werden können, beispielsweise durch formal und materiell rechtliche Klarstellungen. Die Einführung einer einheitlichen Digitalisierungslösung und der Einsatz mobiler Expertiseteams können weitere Mittel sein, um die Folgen personellen Engpässe in Behörden und Unternehmen bestmöglich aufzufangen.

 

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