„Die Strategien sind ein klares politisches Bekenntnis“
29.07.2024
Für eine erfolgreiche Industrie- und Wirtschaftstransformation wird Wasserstoff in großen Mengen benötigt. Dass Importe erforderlich sind, ist absehbar. Fast zeitgleich haben nun der Bund eine Importstrategie für Wasserstoff und Wasserstoffderivate beschlossen sowie das Land NRW als erstes Bundesland ein eigenes Wasserstoff-Importkonzept veröffentlicht. Im Interview ordnet Dr. Christian Scholz, Fachexperte für H2-Infrastruktur und H2-Anwendungen im Team der Leitstelle H2.NRW bei NRW.Energy4Climate, die Veröffentlichungen ein.
Welche Rolle spielen die Bundesstrategie und das Importkonzept des Landes NRW für den Hochlauf der hiesigen Wasserstoffwirtschaft?
Die Importstrategie des Bundes und das Importkonzept des Landes NRW sind ein ganz klares politisches Bekenntnis: Auf der einen Seite wird Wasserstoffexportländern die Bereitschaft zur langfristigen Abnahme großer Wasserstoffmengen signalisiert, auf der anderen Seite der heimischen Industrie und weiteren Akteuren eine verlässliche Versorgung mit Wasserstoff und dessen Derivaten für anstehende Transformationsprozesse in Aussicht gestellt. Damit nehmen diese Importstrategien eine wichtige Funktion beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ein.
Auf welche Importoptionen wird in den beiden Strategien gesetzt?
Um die großen Bedarfe an Wasserstoff und dessen Derivaten zu decken, setzen beide Veröffentlichungen auf eine breite Diversifizierung, sodass einseitige Importabhängigkeiten vermieden und verlässliche Importstrukturen geschaffen werden. Es werden also sowohl verschiedene Exportländer genannt, als auch auch eine Diversifizierung der Transportoptionen in Form von entweder reinem Wasserstoff oder aber als Ammoniak, Methanol, Naphta oder LOHC per Pipeline oder Schiff angestrebt. Die Bundesstrategie weist hierzu die relevanten europäischen Importkorridore für Deutschland und NRW aus. Offen bleibt in den Strategien, in welchem Zeithorizont welche konkreten Mengen an Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten auf welcher Importroute bzw. aus welchem Exportland nach Deutschland und Nordrhein-Westfalen kommen.
Welche Bedeutung hat das landeseigene Konzept für Unternehmen in NRW?
Nordrhein-Westfalen ist durch eine besonders energieintensive Industrielandschaft geprägt und benötigt gerade für die anstehenden Transformationsprozesse der Stahl- und Chemieindustrie große Wasserstoffmengen. Weitere Bedarfe entstehen durch die Bereitstellung von Prozesswärme z. B. in der Glas- oder Ziegelindustrie, den Schwerlastverkehr und den hohen erwarteten Anteil an den ausgeschriebenen H2-ready-Gaskraftwerkskapazitäten. Gemäß des NRW-Importkonzepts werden bis 2045 rund 127 bis 177 Terawattstunden an Wasserstoff in NRW benötigt, von denen ein Anteil von etwa 90 Prozent importiert werden muss. Mit dem erstens Konzept dieser Art auf Landesebene hebt Nordrhein-Westfalen die Bedeutung des Themas hervor und gibt politische Rückendeckung, z.B. für das Schließen von internationalen Importpartnerschaften.
Wo steht NRW beim Thema Infrastruktur? Wie soll der Wasserstoff zu uns kommen?
Unabhängig von Import oder heimischer Produktion ist ein bedarfsgerechtes und leistungsfähiges Pipelinenetz für die Wasserstoffnutzer in NRW elementar. Neben dem nun veröffentlichten Wasserstoff-Importkonzept gab es mit dem eingereichten Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber zur Errichtung des Wasserstoffkernnetzes und den IPCEI-Förderbescheiden, u. a. für das Infrastrukturvorhaben GET H2 eine Reihe an guten Nachrichten. Das Projekt GET H2 wird in NRW die Keimzelle eines europäischen Wasserstoffnetzes bilden und ab 2025 mit den ersten H2-Leitungen des deutschlandweiten Kernnetzes in Betrieb gehen. Weitere Abschnitte des Kernnetzes werden in NRW bis 2032 umgerüstet oder neu errichtet, sodass u. a. zwei Grenzübergangspunkte zum niederländischen und einer zum belgischen Wasserstoffnetz entstehen. Diese starke, zentrale Positionierung Nordrhein-Westfalens im Wasserstoffkernnetz und die umfassende Einbettung in den European Hydrogen Backbone auf der einen, sowie die Nähe zu den Häfen Antwerpen-Brügge, Rotterdam und Amsterdam auf der anderen Seite, eröffnen u. a. gute Importmöglichkeiten entlang des von der Bundestrategie skizzierten Nordsee- und des Südwestkorridors.
Welche Rolle spielen Nachhaltigkeitskriterien innerhalb der Strategien und für den zukünftigen Import?
Sowohl die Bundesstrategie als auch das Landeskonzept weisen Nachhaltigkeitskriterien eine große Bedeutung zu. So sollte beispielsweise der Aufbau großskaliger Elektrolysekapazitäten lokale Wasserknappheit nicht verschärfen. Auch der Energiemix des Exportlandes ist wichtig, Exportaktivitäten sollten vor Ort nicht zu einer Laufzeitverlängerung fossiler Kraftwerke führen. Da grundsätzliche viele Länder gutes Erzeugungspotenzial aufweisen, können solche Kriterien bei der Auswahl der Partnerschaften berücksichtigt werden, ohne den Ansatz eines diversifizierten Importportfolios zu gefährden. Zwar konkurriert die Einhaltung dieser Kriterien mit dem Ziel niedriger Wasserstoffgestehungskosten, gleichzeitig erhöht sich jedoch die gesellschaftliche Akzeptanz. Offen bleiben zunächst die Kontrollmechanismen für Nachhaltigkeitskriterien. Hier besteht also noch Nachschärfungsbedarf auf Bundes- sowie EU-Ebene. Denkbar wäre z. B. eine Vereinbarung auf staatlicher Ebene, sodass die Verantwortung für die Einhaltung nicht individuell durch jeden einzelnen Projektumsetzenden organisiert werden muss.
Wie unterstützt NRW.Energy4Climate den Aufbau von Importkooperationen? Welche Angebote bietet die Landesgesellschaft?
Internationale Partnerschaften sind für uns von enormer Relevanz. Im letzten Jahr fanden von unserem Team für Internationale Kooperationen bei NRW.Energy4Climate organisierte und unterstützte Delegationsreisen nach Schottland, Dänemark, Belgien und in die Niederlande statt. Außerdem unterstützen wir als Fachpartnerin die im Oktober 2024 stattfindende NRW-Unternehmerreise mit Fokus Maschinen- und Anlagenbau nach Schottland. Eine für Ende dieses Jahres geplante Reise nach Portugal und Spanien wird den Grundstein für die Zusammenarbeit mit der iberischen Halbinsel legen. Delegationsreisen bieten den Teilnehmenden optimale Möglichkeiten: neue Kontakte für zukünftige Projekte und erste Eindrücke der Projekte vor Ort. Auch mit Fachveranstaltungen, zuletzt z. B. zum Thema Ammoniak mit niederländischen Partnern, fördern wir grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Best-Practice-Transfer. Ein weiteres Format sind Roundtables, z. B. mit Dänemark und Brasilien, u. a. um offene Fragen zwischen zukünftigen Produzenten und Abnehmern und die regionalspezifische Situation zur Förderung grenzüberschreitender Kooperation zu klären. Aber: Auch trilaterale Kooperationen (z.B. Norwegen, Niederlande) werden für unsere Arbeit immer relevanter, denn bei Herausforderungen wie dem Aufbau von Import-Infrastruktur und Lieferketten bedarf es gesamteuropäischer Anstrengungen.